Chiemsee Richtung Norden Rückblick

„Wenn einer eine Reise tut,
dann kann er was erzählen.
Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.“
Matthias Claudius (1740 – 1815)

Wohl war! Aber ich nahm doch lieber Rad und Rucksack.

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Wer bei meinen zahlreichen Ergüssen via Facebook, Twitter und WordPress etwas den Faden meiner Reiseroute verloren hat, erhält jetzt aus erster Hand einen Reisebericht.

GE

Die komplette Route könnt Ihr Euch als KML anschauen.

  • Die Ziffern markieren jeweils den Startort einer Etappe.
  • Gelb sind die Abschnitte, die ich geradelt bin.
  • Grün sind die Abschnitte, die ich auf stillgelegten Bahnstrecken geradelt bin.
  • Rot sind die Strecken, die ich mit dem Zug gefahren bin. Auf dem Heimweg fehlen davon Teile, weil ich die schon kannte und nicht neu gezeichnet habe.

Bei meinem Bericht möchte ich auf folgendes besonders eingehen.

  • die Strecke bzw. wie ich denn nun jeweils entschieden habe, wie es weiter gehen soll
  • das schönste Erlebnis des Tages
  • das blödeste Erlebnis bzw. der Tiefpunkt des Tages
  • die interessanteste Begegnung des Tages.

Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, hat man ja oft lustige Begegnungen. Wobei die aufgrund des Wetters diesmal dünn gesät waren, es waren einfach nicht so viele Menschen draußen unterwegs, Radler schon gar nicht.

Tag 1
Seebruck – Passau 46 km
Den ersten Tag hatte ich Euch bereits in Chiemsee Richtung Norden geschildert.
Wegen des Regens hatte ich erstmal ausgeschlafen und bin dann ziemlich genau Richtung Norden gefahren. Vor Mühldorf hatte ich aber schon schrumpelige Finger vor lauter Wasser von allen Seiten. Mühldorf am Inn ist der bedeutendste Eisenbahnknoten des bayerischen Chemiedreiecks, von hier geht es in alle Richtungen. Ich entschied mich für Osten also Passau und dort nächtigte ich dann auch.
Das blödeste waren definitiv meine Erlebnisse auf dem Bahnhof Mühldorf. Mein Zug fuhr vom letzten Gleis. Ich hab den Lokführer gefragt, ob ich im Zug ein Ticket lösen kann und er hat ewig rumgepienst und mich dann zum Fahrkartenautomat in der Empfangshalle geschickt. Weil dort alle Züge zeitgleich ankommen und abfahren (prinzipiell sehr lobenswert) hatte ich auch nicht gesehen, daß auf dem Nachbarbahnsteig auch einer steht. In der Empfangshalle hab ich dat Dingen nicht gleich gefunden, weil er in einer Ecke steht. Ich musste erst im Reisezentrum fragen. Kaufen hätte ich da zeitnah nicht können. Die beiden! Bahnpersonalerinnen mussten eine! Kundin beraten. Nach meiner Odyssee mit Radlschuhen, geschultertem Rad auf nassen Fliesen und Treppen konnte ich meinem Zug immerhin noch kurz hinterhersehen und hab mich dann mal auf dem Bahnsteig umgezogen (endlich raus aus den nassen Klamotten) und eine Stunde gewartet.

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Das schönste Erlebnis verrate ich nicht, Hape Kerkeling hat auch nicht alles erzählt („Ich bin dann mal weg“). Interessant war zumindest die Begegnung mit dem Fahrer eines „Linde“-Sprinters. Ich wollte gerade gepflegt in die Einfahrt des Schlosses Guttenburg pieseln – da waren zwei große Bäume, die den Regen etwas abhielten – als der Sprinter (beladen mit Sauerstoffflaschen) neben mir hielt. Der Fahrer sprang raus und machte sich mit den Worten „im Wagen darf ich nicht rauchen“ eine Zigarre an! Unser Gespräch war nett, aber eigentlich hatte ich ja was anderes vor.

Tag 2
Passau – Bodenmais 59 km
Von Passau aus Richtung Norden hätte bedeutet, direkt in den Bayerischen Wald und nach Tschechien zu fahren. Dann doch lieber nordwestlich an der Donau entlang. Anscheinend fahren alle Touris donauabwärts, ich wurde jedenfalls reichlich blöd angeglotzt. Für gefühlte 5 Minuten gab es das perfekte Radelwetter als der Regen aufhörte – dann kam die Sonne raus und es wurde sofort drückend schwül. Aber diese 5 Minuten mit einer Leberkässemmel auf einer Bank an der Donau waren sehr schön. Ich bin dann bis Deggendorf geradelt, die Landesgartenschau wollte ich mir eh gerne mal ansehen.

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Auf dem Foto erkennt ihr einen relativ flach wirkenden Einschnitt im Bayerischen Wald, den ich zu befahren gedachte. Praktischerweise gibt es auf dem Gartenschaugelände ein Luftbild von der Gegend auf etwa 5 mal 5 Meter im Boden eingelassen. Der Teil, der mich interessierte, schaute ungefähr so aus:

Waldbahn

Direkt auf Deggendorf stand eine dicke Frau, die müsst Ihr Euch dazu denken. Mein geübter Blick fand sofort die Bahnlinie. Seht Ihr sie auch? Doch was ist das? Eine 180°-Kehre! Und da noch eine! Das ist fürs Radeln freilich ein gaaaanz schlechtes Zeichen. Bahnstrecken werden nicht zum Spaß so gebaut, sondern zum Überwinden von Höhe. Nach Verlassen der Gartenschau lies ich also den Zufall entscheiden, sollte ich den Bahnhof rechtzeitig zum nächsten Zug erreichen, würde ich den nehmen, ansonsten weiter an der Donau fahren.
Ich bekam den Zug, konnte aber keine Fahrkarte mehr lösen. Der Blick einer Zugbegleiterin, wenn man ihr sagt: „Ich hätte gern eine Fahrkarte, aber ich weiß noch nicht wo hin.“ – unbezahlbar.
Ich entschied mich dann für Bodenmais und hatte eine sehr beeindruckende Zugfahrt über sehr viele Höhenmeter. Das Ziel war eine gute Wahl, schon wegen der Nachspeise.

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Vanilleeis mit Steirischem Kürbiskernöl 🙂

Blöd war nur, dass meine EC-Karte mal wieder ihren Geist aufgeben hatte. Ab diesem Moment brauchte ich an den Geldautomaten immer mehrere Versuche und an Hotelrezeptionen meinen Charme, um weiter zu kommen.

Tag 3
Bodenmais – Schönsee 107 km
Die Abfahrt (doppeldeutig im Sinne von Losfahrt und Runterfahrt) von Bodenmais hätte richtig schön werden können, wäre der Wind nicht so kalt gewesen. So rollte ich also nicht ganz so zügig wie es hätte sein können nach Bad Kötzting. Das „Bad“ hat man sich erst 2005 dazuverdient, deshalb ist es auf allen Schildern nachträglich draufgedengelt, aber man hat wenigstens keines vergessen. Dann ging es durch das wirklich schöne Regental nach Cham (bitte mit „K“ sprechen wie in Chiemsee). Das Tal hat mir so gut gefallen, daß ich jetzt an meine Familie hinrede, ob wir nicht in unserem nächsten Familienurlaub den ganzen Regen beradeln wollen.
Die Wikipedia sagt:
„Die Marseillaise wurde von Claude Joseph Rouget de Lisle … verfasst. Sie … war dem Oberbefehlshaber und Gouverneur von Straßburg, dem im Jahr zuvor zum Marschall von Frankreich ernannten Grafen Luckner, gewidmet. Daher ertönt die Marseillaise noch heute täglich um 12:05 Uhr vom Glockenspiel auf dem Marktplatz in Cham in der Oberpfalz, dem Geburtsort des Grafen.“
Als unvorbereiteter Tourist wundert man sich schon ob der bekannten Klänge, aber da steht auch eine Infotafel auf dem Marktplatz. Und noch zwei schöne Dinge:

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Danach bin ich ein bisschen rumgeeiert, bis ich auf den „Verbindungsradweg Schwarzach-Regen“ gestoßen bin.

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Also ganz ehrlich, wenn man nicht mehr möchte, daß den jemand fährt, sollte man die Schilder abhängen. Das gezeigte ist noch eines der besseren. Auch sonst merkt man deutlich, daß den Weg keiner mehr haben will. Versucht den mal zu googeln…
Ab Schönthal bin ich wieder frei Schnauze gefahren. In Winklarn entfachte ein winziges Radwegschild meine Aufmerksamkeit: „Aschatalradweg“. Was darauf folgte, war bis zur ehemaligen Endstation Schönsee einer der hübschesten Bahnradwege, die ich kenne. Aber auch anstrengend! Die an sich gut fahrbare feine Schotteroberfläche ist nach längerem Regen und mit schmalen Reifen doch recht mühsam zu fahren und es geht ja immer ganz leicht bergauf.

Tag 4
Schönsee – Kirchenlamitz 104 km
Der kleine Hüpfer bis Eslarn ging Richtung Norden. Dort fand ich den Bocklradweg, „Bayerns längster Bahntrassenradweg“, den ich komplett befahren konnte. Auch wenn es nicht immer einfach war, der Beschilderung zu folgen.

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Im Hintergrund ist tatsächlich noch ein zweites Schild! Man kann es auch übertreiben.

Ab Neustadt an der Waldnaab versuchte ich eben dieser folgend Richtung Norden zu fahren, was aber schier nicht geht. Die ist dort zu tief eingeschnitten und touristisch nicht relevant, folglich gibt es dort auch keinen Radweg. Ringsum gibt es nur diese einfachen lokalen grünen Radwegschilder von Ort zu Ort. Und ich bin mir sicher, daß ich keinen Abzweig verpasst habe. Doch dann bin ich auf einem der miesesten Grobschotterwege gelandet, die ich je erlebt habe. Doch just dort kamen mir zwei GIs in einem zivilen Ford Focus entgegen. Zwar in Kampfanzug aber anscheinend privat unterwegs, Geocachen oder so. (Früher sind die Kameraden noch marschiert.) Jedenfalls wollten die wissen, ob sie da weiterfahren können. „Are there any holes in the road?“ Neeeee, die sind alle mit Kinderkopfgroßem Schotter aufgefüllt, gute Fahrt auch. Um kritische Leser zu beschwichtigen, ich hab denen den Weg bestmöglich beschrieben und die waren schon so weit – vor oder zurück wäre gleich schlimm gewesen.
In Windischeschenbach (bekannt durch die Kontinentale Tiefbohrung) wusste ich nicht weiter. Kein Weg, der so richtig nach Norden führte, dafür eine bedrohliche Gewitterwolke eben dort. Deshalb mit einem Zug der Vogtlandbahn nach Marktredwitz und schon war ich mitten im Fichtelgebirge. Also kurz vor Feierabend noch ein paar Höhenmeter knechten (min. 500) von Komoot geleitet Richtung Hof. Das Wunsiedeler Becken z.B. ist sehr … nun ja Beckenförmig. So sehr ich die immer wieder kehrenden Regenschauer verdammte, ohne einen solchen wäre ich wohl nie nach Kirchenlamitz abgebogen. Ist gefühlt der einzig schnuckelige Ort in der Gegend und die Alte Wirtschaft an der Lamitz empfehle ich wirklich gerne weiter. Unbemerkt hatte ich vor wenigen Kilometern die Sprachgrenze vom Bayerischen zum Fränkischen „übertreten“ (ebenso wie die Europäische Wasserscheide) und genoss einfach nur die fränkisch sprechenden Menschen mit mir im Gastraum.

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Tag 5
Kirchenlamitz – Plothen 80 km
Bis jetzt kam an jedem Tag das Wort „Regen“ in meinen Schilderungen vor und ich meine nicht nur den Fluss…
Und genau so ging es weiter in Richtung Hof, wo ich ein echtes Motivationstief hatte. Erst stand ich vor dem Hallenbad (schön warm!?), dann im Bahnhof (Zug nach hause!?). Doch nach einem Stopp beim Wärschtlamo ging es weiter auf dem Saaleradweg. Wie ich jetzt weiß, gilt er als der anspruchsvollste Flussradweg in Deutschland, zumindest im oberen Teil. Hab ich schon den Regen erwähnt und den Matsch? Als ich, mein Rad und vor allem mein Sattel so aussahen…

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… hab ich alles in der Saale gewaschen und meine Route geändert.

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Flugs die Saale überquert und ab nach Thüringen! Die nächsten Kilometer waren kein Spaß: Bundesstraße mit LKW, 12 °C, Eisregen (gefühlt), ständiges auf und ab und nicht zu vergessen – Wahlplakate für die Landtagswahl.

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Am Schleizer Dreieck wäre ich gerne länger geblieben und hätte gerne mal eine ganze Runde gedreht, aber ich war so derartig durchgefroren. Auf dem Marktplatz fand ich eine Imbissbude mit netter Bedienung, die mir einen extra großen und warmen Kaffee bereitete und sogar die Wurst in die Erbsensuppe geschnitten hat. Das hätte ich mit meinen klammen Fingern nicht mehr hinbekommen. Danke. Aber auch danach kam ich aus dem Zittern nicht mehr raus. Das Schild der Jugendherberge Plothen kam also wie gerufen.

Tag 6
Plothen – Kahla 38 km

Morgens wieder in die noch nassen Schuhe rein schlüpfen senkt die Lust am Radfahren ganz massiv. Trotzdem konnte ich mich erstmal aufraffen, denn ich hatte auf der Karte ein Zwischenziel entdeckt: Kahla! In meiner Kindheit in Kahl am Main wusste ich nur, da gibt es einen Ort der so ähnlich heißt, aber man kann da nicht hin. Jetzt hab ich es also geschafft, aber dann…
Ich hatte bereits eine Nachricht erhalten, daß meine Mädels schon auf dem Heimweg sind, ich hatte einen Bahnübergang überquert und in der Mittagspause fing es wieder an zu regnen. Da konnte ich nicht anders und hab mir eine Zugverbindung rausgesucht. Ab nach Hause!

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So entspannt dürfte die Fahrradmitnahme im Zug immer sein.

Entschuldigung an alle, die für mein nächstes Ziel bei Facebook gevotet hatten (Weimar 6 Stimmen, Jena 3 Stimmen, Gera 0 Stimmen). Nächstes Mal fang ich genau in Kahla wieder an und dann geht es weiter über Jena nach Weimar und dann weiter Richtung Norden.

Fazit
Ich habs also nicht bis ans Meer geschafft, aber das war ja klar. Das Wetter war gelinde gesagt scheiße. Deswegen bin pro Tag ich viel weniger gefahren, als ich eigentlich hätte können und wollen. Ansonsten wars aber total schön, ich hab soviel gesehen und erlebt und (kennen)gelernt. Mensch und Material haben gehalten – keine körperlichen Beschwerden, keine Krämpfe, keine Platten, alles hat gehalten. Daß ich die Kette nachölen musste und die Bremsbeläge nicht noch ein Mittelgebirge überstanden hätten – geschenkt.

„Nur wo du zu Fuß warst,
bist du auch wirklich gewesen.“
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Ich finde, Fahrrad zählt auch.

4 Gedanken zu “Chiemsee Richtung Norden Rückblick

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