#Denmark19: Nachlese

In die Karte habe ich meine Route für einen Vortrag händisch eingetragen. Ihr könnt die gesamte Route aber auch hier als KML herunterladen. Die roten Nummern sind jeweils der Startpunkt des Tages.

Meine jährlich Rennradtour schien vorher unter keinem guten Stern zu stehen. Die Familie steht vor Herausforderungen und kurz vorher wurde uns noch ein Termin auferlegt, der genau in meinen Urlaub gefallen wäre. Den konnten wir noch verschieben.
Ich selbst war nicht so gut im Training und hatte nicht so viele Kilometer in den Beinen, wie es hätte sein müssen.
Das Basso krankte kurz vorher auch. Kette und Ritzel mussten noch gewechselt werden und der neue Steuersatz lockerte sich immer wieder. Den habe ich noch mal komplett zerlegt, die Oberflächen aufgeraut und alles wieder ordentlich montiert. Zur Sicherheit hatte ich die Steuersatzschlüssel dabei, die wiegen ja fast nix 😉
Entsprechend angespannt hab ich mich auf die Reise begeben. Das Wetter und die Deutsche Bahn haben es auch wieder mal geschafft, zusätzliche Würze reinzubringen, aber dazu später mehr.
Was mir ein wenig geholfen hat, den Mut und die gute Laune (fast nicht) nicht zu verlieren, waren die Open-Space-Regeln:
https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Space#Ziel,_Methode,_Regeln
Die habe ich für meine Touren ein wenig abgewandelt:

  • Wer auch immer dir begegnet, es sind die richtigen Leute.
  • Was auch immer geschieht, es ist das Einzige, was geschehen konnte.
  • Es beginnt, wenn die Zeit reif ist (bezieht sich vielleicht darauf, wann ich morgens los komme 😉 )
  • Vorbei ist vorbei – Nicht vorbei ist Nicht-vorbei – wenn die Energie zu Ende ist, ist die Zeit um. (…und wenn Dänemark zu Ende ist, fahr ich halt heim.)

So, jetzt kommt aber mein Bericht, wohin es mich diesmal verschlagen hat, angereichert mit einigen Dingen, die ich von den Dänen und sonst so gelernt habe.

Tag 0 (Anreise)
Letztes Jahr endete meine Tour in Flensburg: #VEnO18: Von Emden nach Osten – Nachlese. Folglich musste ich erstmal dorthin gelangen. Zug und Jugendherberge hatte ich bereits lange vorher gebucht. Liebe Deutsche Bahn: Ich möchte mal im Fernverkehr mit Fahrradmitnahme verreisen, ohne hinterher eine neue Anekdote parat zu haben! Ich hatte extra eine Verbindung ohne Umsteigen zwischen Mannheim und Hamburg gewählt – vielmehr Fahrzeit aber entspannter – so war der Plan.
In Köln war der IC kaputt und wir wurden auf einen Ersatzzug verwiesen, der dann ein Fahrradabteil weniger hatte und überhaupt kürzer war. Da musste in Münster sogar die Bundespolizei anrücken, um mal ein wenig „aufzuräumen“. Über defekte Klimaanlagen und spontan geänderte Zugreihenfolgen im weiteren Verlauf schweige ich jetzt lieber.
Reisezeit: 12h

Der schöne Abend an der Flensburger Förde war dafür wohl verdient.

Tag 1 Flensburg-Kolding 99 km

Nach den mehrfach schlechten Erfahrungen mit Klimaanlagen der DB-Züge wollte ich ungern die verschwitzten Klamotten von der Zugfahrt all die Tage mitschleppen. Also hatte ich für die Fahrt extra olle Socken, Shirt und Unterhose gewählt, die ich in Flensburg getrost entsorgen konnte.

Die Hafenspitze in Flensburg markiert quasi den offiziellen Startpunkt der diesjährigen Tour. Dem Projekt „Deutschland umrunden und alle Nachbarländer befahren“ war es geschuldet, dass ich mich Richtung Dänemark auf den Weg machte, um wenigstens schon mal die Grenze zu überschreiten. Das war mir vorher schon klar, wie es danach weiter gehen sollte allerdings, war noch offen.
Kurz hinter Flensburg sollte sich also am ersten Wegweiser entscheiden, wie es weitergeht. Ich wollte gerade Notizbuch und Würfel hervorholen, als mich eine einheimische Radlerin ansprach. Der Uferweg nach Sonderborg wäre bei Regen nicht befahrbar. „Du musst nach Norden fahren!“ sprach sie eindringlich und war sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, wie sehr sie damit meine Tour beeinflussen sollte. Denn dieser Satz wurde zum Motto, an das sich sowohl der Wind als auch der Würfel und damit auch ich brav gehalten haben.
Vom Grenzübertritt selbst habe ich kein schönes Foto, weil es zur Einstimmung in Strömen geregnet hat.

Mein erstes Foto aus Dänemark, besser gesagt aus (Süd-)Jütland zeigt zwei Dinge:
1. Jütland sieht ein bisschen aus wie der Kraichgau, nur mit Wasser ringsum.
2. Als Fahrradinfrastruktur auf Landstraßen langt in Dänemark zur Not auch eine Art Fahrradschutzstreifen. Der kann beliebige Breite haben, so dass ich mich schon oft gefragt habe, ob ich denn jetzt wirklich noch rechts von der gestrichelten Line fahren soll. Die ist übrigens für Rennradler rein optisch recht nervig. Mir ist sie vor den Augen verschwommen, wenn ich schräg nach vorne unten geschaut habe.

Auf dem Land gibt es viele hübsche Kirchen, die leider alle abgeschlossen sind.

In Haderslev dann endlich der erste Bahnradweg (dänisch Banestien). In diesem Fall ein altes Hafengleis, das innerstädtisch asphaltiert wurde, dann leider auch schnell wieder zu Ende war.

Apropos „zu Ende war“! Der Däne hat es wohl nicht so sehr mit der Ausschilderung von Radwegen. Die Nachfahren der Wikinger navigieren anscheinend immer noch lieber nach den Sternen. Doch hier war ausnahmsweise kurz vorher mal eines der wenigen Schilder, die ich für den nationalen Radfernweg Route 5 (Østkystruten) gefunden hatte und dann das!

Tag 2 Kolding-Aarhus 114 km

Wie bereits erwähnt war der Weg Richtung Norden alternativlos. In Kolding hätte ich ein Frühstück im Motel dazubuchen müssen. Da ich aber nach einem anstrengenden Vortag oft keine rechte Lust auf Frühstück habe, gab es das „morgenmad“ erst in Vejle.

Kurz vor Horsens hatte ich mit den Schwalbe Durano meinen ersten Platten in 7 Jahren. Gegen den spitzen Splitter, den ich da rausgezogen habe, hatte selbst dieser Reifen keine Chance. Apropos Platten: Einen neuen Ersatzschlauch habe ich bei VinylBiksen gekauft, einem süßen kleinen Fahrrad- und Schallplattenladen.

Die Mittagspause verbrachte ich in Skanderborg, hübsch an einem See gelegen. Weil mal wieder eine Regenfront durchzog, genoss ich die Pause im Kulturzentrum, dass alles beherbergt, was man so braucht: ein Café, ein Kino, eine Bücherei,…
http://www.kulturhuset-skanderborg.dk/
Ich brauchte zwar nur das Café, aber trotzdem hat mir das Flair gut gefallen. Was ich dort erst langsam zu verstehen begann, in Dänemark geht man zur Theke um seine Zeche zu bezahlen 😉

Bis Aarhus war es nicht mehr weit und ich bekam auch schnell ein Zimmer im „Wakeup-Hotel“. Nicht erschrecken, da kommen einem so Hipster mit Bart entgegen. Die Preise sind aber moderat und Zimmer schick. Ich bekam sogar ein Upgrade für den 4. Stock und durfte mein Rad (ausnahmsweise) mit aufs Zimmer nehmen.

Aarhus ist die zweitgrößte Stadt Dänemarks und das kulturelle Zentrum Jütlands und hat entsprechend einiges zu bieten. Auf dem Bild seht Ihr das ARoS Kunstmuseum und davor das Streetfood-Festival, dass mir den Abend verschönt hat.

Tag 3 Aarhus-Randers 99 km

Im Kunstmuseum war ich zwar nicht, dafür haben der Würfel und ich entschieden, ins Gamle By (alte Stadt) Freiluftmuseum zu gehen. Im Gegensatz zu den sonst gebräuchlichen Freilichtmuseen zeigt es städtisches Leben über mehrere Epochen. Der Straßenzug auf dem Foto wurde in den Siebzigern abgetragen und dort wieder aufgebaut, zeigt aber im Grunde einen Querschnitt durch die gesamte Nachkriegszeit. Man kann in alle Gebäude auch hineingehen. Es gibt dort komplett eingerichtete Läden, Werkstätten und Wohnungen aber auch einen Kindergarten.
Spannend finde ich das neueste Projekt. Voraussichtlich nächstes Jahr wird ein Abschnitt eröffnet, der den Zustand im Jahr 2014 (also 100 Jahre nach Eröffnung des Museums) zeigt. In unserer schnelllebigen Zeit kann man wohl nicht früh genug anfangen, diesen zu konservieren.

Mittags bin ich dann mit der Aarhus Letbane nach Grenaa gefahren. Die Überlandstraßenbahn ist erst seit 30. April 2019 vollständig in Betrieb.
In Grenaa war ich dann um 15 Uhr irgendwas. Bis dahin hätte das der Ruhetag werden können. Weil es schon wieder zu regnen anfing und ich Lust hatte, wenigstens noch ein Stückchen zu radeln, habe ich mich auf den Weg in die Einöde gemacht. Die Hoffnung, bald eine Unterkunft zu finden, erlosch bald. Nach einigen Irrungen und Wirrungen und ca. 90 km habe ich dann in Randers im gleichnamigen Nobelhotel eingecheckt. Randers kann man kennen, weil dort so bekannte Firmen wie Vestas und Dan Dryer ihren Sitz haben.

Tag 4 Randers-Hals 82 km

Im teuersten Hotel der letzten 7 Jahre Rennradtour habe ich am beschissensten geschlafen. Das Bett war viel zu weich, so dass ich mich irgendwann mit der obersten Matratze auf den Boden gelegt habe. Die Lüftung war so nervig laut und kalt, dass ich einen Socken reingestopft habe. Der war dann morgens wenigstens trocken. Hatte ich schon den Regen am Vortag erwähnt? Schlau wäre gewesen, nachts mal die Socken zu tauschen, dann hätte ich zwei trockene gehabt.

Spätestens jetzt war auch klar, wohin die Reise geht. Bis auf Frederikshaven würde kein Fährhafen mehr kommen und so blieb als Ziel nur die Nordostspitze Dänemarks in Skagen. Bis dahin war es aber noch ein Stückchen.
Erst galt es noch, den Marriager-Fjord zu queren, was ich in Hadsund getan habe. Wie ich gelernt habe, ist der Fjord eigentlich eine Förde. Der Däne unterscheidet da aber nicht.

Wenn ein Radweg so aussieht, gehen bei mir die Mundwinkel nach oben. Dann ist das nämlich bestimmt ein Bahnradweg. Dies ist die Aalborg-Hadsund Jernbane

Lille Vildmose ist „das größte intakte Hochmoorareal innerhalb der nordeuropäischen Laubwaldzone“. Und hat ein schönes Besucherzentrum, das ich auch aufgrund seiner Regenschutzeigenschaften länger besucht habe. Einen der dort mehr oder weniger frei und wild lebenden Elche habe ich aber leider nicht gesehen.

Wenigstens ein bisschen Inselhopping-Gefühl kam dann doch noch auf. Mit der Fähre Egense-Hals habe ich den Limfjord überquert und war damit auf Vendsyssel-Thy, die aber nicht wirklich als Insel wahrgenommen wird.

Tag 5 Hals-Skagen 105 km

Dieser Regenschauer am Horizont blieb mir erspart. Da kamen aber noch welche, denen ich nicht entkommen konnte.

In Sæby hatte ich mir Hoffnung auf einen Kaffee und kurze chiropraktische Behandlung gemacht. Aber man unterschätzt ja gerne, dass andere Menschen arbeiten müssen, während man selbst im Urlaub ist. Stattdessen bin ich in Jacobs Fiskerestaurant gelandet. Mein Wunsch war ein schnelles Fischbrötchen auf die Hand. Aber das ist eher etwas nobler mit Platzanweisung und reichhaltigem Büffet, dessen ausgiebiger Genuss mich wahrscheinlich für den Rest des Tages schachmatt gesetzt hätte. Mit meinen Stinkeklamotten war ich da auch eher fehl am Platz. Lecker war mein kleines Mittagessen trotzdem.

Die Landschaft und ihr Bewuchs wurden nun merklich „nordischer“ mit Heidekraut, Islandmoos und Krüppelkiefern. Der Südostwind nahm immer mehr zu. Deshalb ist mir bis zur Erstellung dieser Fotos auch das Basso mehrmals umgefallen.
Je nach Definition gehört das Kattegat entweder zur Nord- oder zur Ostsee. Deshalb verläuft hier auch der Nordseeküstenradweg (North Sea Cycling Route), auf dem mir viele Reiseradler entgegen kamen. Die sahen ob des Gegenwindes nicht so glücklich aus.

Die exponierte Lage hat die Menschen in Skagen dazu bewogen, ihre Häuser sturmsicher zu machen. Die äußeren Lagen Dachziegel werden traditionell mit weißem Mörtel gesichert. Das sieht hübsch aus und bewahrt das Dach davor, im Sturm abgedeckt zu werden.
Sollten wir in unseren Breiten auch mal drüber nachdenken, egal ob es sich bei uns nun um Tornados oder „nur“ um Fallwinde handelt.

Tag 6

Wenn man es bis Skagen geschafft hat, gehören zwei Dinge zum Pflichtprogramm: Das Kunstmuseum und die Nordostspitze in Grenen. Die Touries lassen sich mit einem Traktor samt Anhänger da hinkutschieren und versperren die Sicht.

Wenn man die umrundet hat und sich ins Wasser traut, steht man mit einem Bein in der Nordsee, mit dem anderen in der Ostsee (oder im Kattegat, je nach Definition, siehe oben). Baden sollte man dort nicht. Ist wegen der starken Strömung verboten und auch nicht zu empfehlen.
Das Foto zeigt also den Höhepunkt der Tour und im Grunde auch das Ende. Dort geht es nicht weiter. Ich bilde mir ein, im Hintergrund Schweden erkennen zu können. Gegen den Wind wollte ich auch nicht wieder nach Süden radeln. Jetzt noch mit dem Inselhopping anzufangen, hätte zeitlich nicht mehr hingehauen. Also wollte ich mit der Bahn schon mal ein Stück Richtung Süden gelangen. Die Nordjyske Jernbaner hat mich bis Skørping gebracht. Von dort bekam ich noch einen IC bis Aarhus.

Hey, Deutsche Bahn, eat this: Bei der DSB kann man noch 10 min vor Abfahrt am Automaten einen Fahrradstellplatz für den IC reservieren. Warum man dafür eine Servicenummer anrufen muss, ist mir zwar ein Rätsel, aber egal. Man wird auf Wunsch mit einem Englisch sprechenden Menschen verbunden, der gibt Dir einen Code, den man direkt am Automaten eingibt und schwupp!

Tag 7 (Heimreise)

Weil das Heimweh zu stark war, stand ich nach einer Nacht in Aarhus pünktlich um 7:00 Uhr im Reisezentrum der DSB. Dort konnte man mir allerdings keine Verbindung bis Ubstadt-Weiher reservieren. Um den RE noch zu bekommen habe ich zunächst nur bis Hamburg gebucht.

Doch auch dort konnte man mir keine Fernzugverbindung in den nächsten 48 Stunden anbieten. Also blieb nur das QuerDurchsLandTicket:
Hamburg – Hannover (Metronom), Hannover – Göttingen (Metronom), Göttingen – Kassel Hbf (Cantus), Kassel – Frankfurt (RE), Frankfurt – Mannheim (RE), Mannheim – Rot-Malsch (S3).
Was soll ich sagen? Das waren zwar in Summe über 16 Stunden, aber stressfrei. Alle Züge waren pünktlich, genug Zeit zum Umsteigen, ausreichend große Fahrradabteile und funktionierende Klimaanlagen. In Kassel Hbf war ich noch nie und auch die Bahnstrecke Halle–Hann. Münden unter den Werrabrücken der A7 und der Schnellfahrstrecke hindurch war ich noch nie gefahren. Dann durfte ich wegen Schienenersatzverkehr von Rot-Malsch noch nach Weiher radeln, was nach all der Zeit im Sitzen noch ein schöner Abschluss war.

Fazit

Die Tour ist nicht ganz so verlaufen, wie gedacht und war auch etwas zu kurz. Aber nach Open-Space-Gesichtspunkten wird es für irgendwas gut gewesen sein und „Vorbei ist Vorbei“.
Der Steuersatz hat gehalten. Ich selbst habe gemerkt, dass ich zu unfit reingegangen bin, 5 Tage hintereinander ca. 100 km fahren, war nicht so gut. Ich habe Anzeichen von Übertraining bei mir bemerkt. Mein Puls ist abends nicht mehr runtergegangen und ich habe keinen erholsamen Schlaf gefunden. Aber ich musste wohl so viel fahren, mein Kopf hat das gebraucht.
Auf jeden Fall ist es eine gute Ausgangsbasis für nächstes Jahr. Dann mache ich wirklich Inselhopping. Ich habe auf dem ersten Bild schon alle Fährhäfen durchnummeriert (grün), die als Startort gültig wären.

4 Gedanken zu “#Denmark19: Nachlese

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