#NL17
Mensch, Mensch, Mensch…
Irgendwie vergess ich jedes Jahr, über meine große Rennradtour zu schreiben. Was umso verwunderlicher ist, da mir die Touren immer ewig im Kopf rumgeistern.
In Rennradtour 2017 hatte ich schon mal Brainstorming betrieben und fürs Würfeln auch schon Alternativen aufgezählt. Irgendwann habe ich es dann nicht mehr ausgehalten und ich hab gewürfelt (auch falls ich Zugreservierungen bräuchte). Die Wahl viel auf:
„1. von Aachen in Richtung Niederlande / Nordsee“
Ich hatte ja noch eine neue Regel eingeführt:
„8. die Tour hat kein Ziel nur eine Richtung bzw. ein Thema“
Das Thema war damit klar: „Niederlande“. Der Hashtag war aber erstmal #Rennradtour2017, weil ich ja nicht wusste, wo es mich hinverschlägt. Später wurde dann daraus #NL17.
Aber natürlich konnte ich es nicht erwarten und habe schon vorher ein wenig recherchiert, wo ich hinfahren könnte:
- höchster, tiefster, südlichster, westlichster, östlichster, nördlichster Punkt
- geografischer Mittelpunkt
Die Maasdünen, die Hanseroute und das Dreiländereck waren mir dabei auch schon aufgefallen. Das alles seht ihr als gelbe Pinökel in der Karte. Die geradelte Strecke ist türkis, neu hinzugekommenen Bahnstrecken rot und Bahnradwege grün.
Das waren freilich nur Anregungen, ich wollte schließlich „frei Schnauze“ fahren. Wie das geklappt hat, möchte ich Euch jetzt schildern.
Tag 1 Aachen – Lanaken 61 km
Nach einer relativ stressfreien Bahnanreise nach Aachen, war es schon Ehrensache, dass ich zum Dreiländereck (Drielandenpunt) fahre. Kollegen hatten mir dazu geraten und ein Kollege ist dort in der Nähe aufgewachsen.
Von dort sind es nur ein paar Schritte zum höchsten Punkt der Niederlande. Der Vaalserberg ist immerhin 322,4 m hoch.
Ein drohendes Gewitter trieb mich in die Abfahrt (die erste und letzte bei der Tour) Richtung Belgien. Den südlichsten Punkt der Niederlande erreicht man eh nur über Belgien.
Wie Sie sehen, sehen Sie nix…
Also weiter nach Maastricht durch eine durchaus hübsche Landschaft mit sanften Hügeln, wo ich meine ersten Erfahrungen mit dem in Belgien und den Niederlanden gebräuchlichen Knotenpunktsystem sammeln konnte. Das ist für meine Art des Radelns durchaus praktisch. So konnte ich auf den Karten immer den nächsten Knotenpunkt für meine gewünschte Richtung raussuchen. Später bin ich dazu übergegangen, mir die nächsten 2-3 Knotenpunktnummern zu merken, um nicht jedes mal anhalten zu müssen.
Wenn man in eine Stadt kommt und mit lauter Musik und von einem Ironman-Laster begrüßt wird, ist das für die Suche nach einer Unterkunft ein ganz schlechtes Zeichen. Aber etwas Maas abwärts wieder in Belgien wurde ich dann doch fündig.
Tag 2 Lanaken – Venlo 102 km
Von Lanaken aus blieb ich erstmal an der Zuid-Willemsvaart (einem Kanal).
Doch was war das? Eine Eisenbahnbrücke ohne erkennbares Gleisbett…richtig ein Bahnradweg – die Spoorlijn 21A, die mich nach Maaseik und damit wieder an die Maas führte, der ich weiter folgen wollte.
Da kann es dann schon mal vorkommen, dass der Weg zum nächsten Knotenpunkt (92) durchs Wasser führt. Ne, Quatsch, da fährt natürlich eine kleine Fähre, die wie selbstverständlich Teil des Radweges ist.
Apropos selbstverständlich: Bei Veranstaltungen scheint es in den Niederlanden selbstverständlich zu sein, aus Absperrgittern improvisierte aber sehr praktische Fahrradabstellanlagen aufzustellen (hier das Solar Weekend Festival in Roermond). Hier bin zum ersten Mal in einen echten Fahrradstau geraten. Aber ich wollte ja an einer anderen „Veranstaltung“ teilnehmen. In Venlo fand ich eine Kneipe, in der ich das Endspiel der niederländischen Fußballerinnen gegen Dänemark schauen konnte (und eine Unterkunft).
Tag 3 Venlo – Nijmegen 87 km
Weil ich dann doch ganz gerne die Maasdünen sehen wollte, blieb ich an der Maas und fand zufällig die Kasteeltuinen in Arcen. Sehr hübsch, ich verbrachte den halben Vormittag dort.
Die Maasdünen waren auch hübsch, mit 28er-Reifen aber nicht immer leicht fahrbar. Auch Wege durch Dünen bestehen halt gerne mal aus Sand.
Die nächste Fähre brachte mich (dank Würfel) von der Provinz Limburg nach Brabant. Dort waren die Radwege aber nicht so gut wie zuvor und ich suchte bald wieder eine Fähre über die Maas. Vorher habe ich aber noch ein Kleinod entdeckt.
De Looierij in Cuijk ist ein ziemlich umfassendes integratives Projekt untergebracht in einer ehemaligen Gerberei: Behinderte können dort wohnen und arbeiten, es ist Altentreff, Veranstaltungsstätte, Blumenladen, Café,… und ziemlich leckeres Essen gibt es auch.
Wer des Niederländischen nicht so mächtig ist, dem sei https://www.deepl.com/translator empfohlen.
Die Maas biegt dann nach Westen und Brabant ab, ich blieb aber am Maas-Waal-Kanal und gelangte in die Provinz Gelderland. In Nijmegen fand ich eine luxuriöse Bleibe.
Tag 4 Nijmegen – Zwolle 124 km
Bei Google Maps heißt anscheinend alles per default „Bed and Breakfast“, auch wenn es gar kein Frühstück gibt. Weil ich bei meinen Rennradtouren eh oft das Problem habe, mich zum frühstücken zwingen zu müssen, hab ich mal was ausprobiert. Ich bin (normalerweise für mich undenkbar) ohne Frühstück losgefahren. Wenn man ohne Plan fährt, verpasst man möglicherweise was Tolles, aber meist hilft ja der Zufall und ein wenig Achtsamkeit. So habe ich den Radschnellweg nach Arnhem gefunden.
Spätestens dort dachte ich, dass ich im Paradies unterwegs sei. Die knapp 18 km nach Arnhem waren auch auf nüchternen Magen ein Genuss. Blöderweise ist mir erst viel später aufgefallen, dass ich davon gar keine Fotos gemacht habe, weil ich so im Flow war. In Arnhem selbst probierte ich selbstverfreilich die „gratis bewaakte Fietsenstalling“ aus.
Das brauche ich wohl nicht zu übersetzen!?
Eigentlich fotografiere ich ja mein Essen nicht, aber die Portionsgrößen in den Niederlanden begeisterten mich immer wieder. Bis hier hatte mich fast immer irgend ein Gefühl geleitet, aber jetzt war es mal an der Zeit, den Würfel zu befragen.
Sollte ich zum geografischen Mittelpunkt der Niederlande fahren oder die Hanzeroute abklappern? Diese verläuft entlang des Flusses IJssel und tangiert mehrere alte Hansestädte. Deshalb ist auch die Entscheidungsvorlage für den Würfel etwas tendenziös ausgefallen: 2 – 5, quasi für jede sehenswerte Stadt ein Punkt. Nun ja, was soll ich sagen, der Mittelpunkt hatte seine Chance.
In einem Örtchen namens Brummen (wie passend) verbrachte ich einige Zeit in der Gallery Aaldering. Diese einen Gebrauchtwagenhändler zu nennen trifft es nicht ganz. Beispielhaft für das Angebot sei ein Aston Martin DB5 genannt.
Dieser wurde just wärend meiner Anwesenheit mit eigener Motorkraft herumrangiert – geil.
Dann Zutphen, Deventer, Zwolle…lauter schöne Städtchen, von denen ich aber keine schönen Bilder habe, weil es ab Brummen durchgeregnet hat. Schön war es trotzdem. Ich habe mich aber nie lange aufgehalten und bin weitergeradelt, was die 124 km erklärt.
Tag 5 Zwolle – Woudsend 118 km
In Zwolle gab es wieder kein Frühstück, dafür aber in Kampen, das ich für die schönste Perle an der Hansestädteschnur halte.
Hier noch mal ein Wort zu dem Knotenpunktsystem. Nicht nur die Beschilderung und die Karten sind super, man wird auch kurz vorher gewarnt. Nicht das man versehentlich an einem Knoten vorbeirauscht. Wenn man als Radler ständig so verwöhnt wird, ist man umso erstaunter, wenn der Support mal wegfällt.
Über die Brücke im Bildhintergrund wollte ich weiter Richtung Norden gelangen, aber das war tatsächlich die erste Brücke ohne Radweg! Und Knotenpunkte gab es plötzlich auch keine mehr. Da hab ich mich also prompt verfahren und mir einen gehörigen Umweg eingebracht.
Die „Veerman van Kampen“ im Vordergrund war mir schon am Vortag in Deventer aufgefallen. In Kampen hatte ich überlegt, an Bord zu gehen und mir einen ruhigen Tag zu gönnen, aber dann habe ich die anderen Mit(g)reisenden gesehen und fand weiterradeln sehr verlockend.
Zurück zu meinem Umweg, der mich in die Provinz Flevoland und ans IJsselmeer brachte. An dessen Ostufer nutzte ich den Rückenwind perfekt aus.
Ohne viel treppeln mit über 30 km/h dahinzurollern ist schon fein. Trotzdem wurde mir immer wärmer, bis ich kapierte, dass es nicht so schlau ist, genau mit der Windgeschwindigkeit zu fahren und so gar keine Kühlung mehr zu haben.
Sloten, in diesem Kleinod wollte ich nächtigen. Die Idee hatten aber noch andere. Bis ich in Woudsend bei einer älteren Dame eine Unterkunft mit 1-zu-1-Betreuung fand, hatte ich schon wieder 118 km auf dem Tacho und war in Friesland angelangt.
Tag 6 Woudsend – Klosterburen 80 km
Endlich aus den Fängen der redseligen Dame entronnen, radelte ich wieder Richtung Norden. Ich war jetzt schon recht optimistisch gestimmt, die Nordsee erreichen zu können.
So muss Fahrradinfrastruktur aussehen!
In Sneek befindet sich das GRÖSSTE Modellbahnmuseum der Niederlande! Na gut, es ist alles relativ und ich war nach einer Stunde wieder draußen. Wegen einsetzendem Regen und weil ich wenigstens einmal in den Niederlanden Zug gefahren sein wollte, tat ich eben dieses bis Leeuwarden.
Ab dort folgte ich der Dokkumer Ee, einem Fluß (oder Kanal?), bis nach Dokkum.
Mehr Friesland-Kitsch passt nicht auf ein Foto.
Bis an die Nordsee hab ich es an dem Tag nicht geschafft.
Dafür hatte ich nach den Erfahrungen mit Unterkunftssuche an den Vortagen die coolste Unterkunft von unterwegs vorgebucht: Het Klooster in Kloosterburen. Die Wirtin Miranda hat mir trotz geschlossener Küche noch ein Resteessen hingezaubert – fabelhaft.
Tag 7 Kloosterburen – Emden 45 km
Von dort war es nicht mehr weit bis an die Küste.
Der nördlichste Punkt auf niederländischem Festland liegt in der Nähe von Eemshaven und ist touristisch auch etwas wertvoller als der südlichste Punkt.
Nach einer Woche fast CO2-freier Fortbewegung hab ich mir dann mal was gegönnt. Von Eemshaven ging es mit der Fähre nach Borkum. Der Aufenthalt langte für eine Fahrt mit der Inselbahn, einen Kaffee und einmal Füße in die Nordsee halten.
Dann ging es mit der nächsten Fähre nach Emden. Auf deutschen Straßen unterwegs zu sein, war nach einer Woche Niederlande etwas ernüchternd, aber mehr als die Suche nach einem Hotel war eh nicht mehr drin.
Tag 8 Emden – Weiher mit der Deutschen Bahn
Ach liebe Deutsche Bahn, können wir das nicht mal gemeinsam hinbekommen: eine Heimfahrt vom Radurlaub ohne dass ich darüber Geschichten erzählen könnte? Über die App kann man keinen Fahrradstellplatz reservieren. Am Fahrkartenautomaten geht das auch nicht mehr. Bin mir sicher, dass ich das schon mal hinbekommen habe. Also bin ich morgens um 8:00 im Reisezentrum aufgeschlagen, nur um mir anzuhören: „Ne, für heute können Sie keinen Fahrradstellplatz im IC mehr reservieren“ WTF?
Immerhin hat mich die freundliche Schaffnerin im IC bis Düsseldorf mitgenommen. Ab dort ging es mit Regionalzügen weiter. So wurden aus 8 Stunden dann über 10 und einige Einblicke in die menschliche Natur, auf die ich gerne verzichtet hätte.
Fazit
Niederlande mit dem Rennrad. Geil.
Tolle Infrastruktur, nette Leute, lecker Essen, schöne Landschaften. Ich hatte vorher etwas Bedenken, es könnte etwas langweilig werden im Flachland. Doch weit gefehlt. In den Niederlanden weiß man zwar nie: Ist das jetzt ein Fluss oder ein Kanal oder ein kanalisierter Fluss oder flussähnlicher Kanal? Aber egal – bis auf ganz wenige Ausnahmen bin ich eigentlich immer am Wasser entlang gefahren. Am liebsten würde ich nächstes Jahr wieder in die Niederlande fahren. Aber ich bin ja einmal komplett vom Süden bis zum Norden durchgefahren. Was soll da noch kommen?
Nur eins fürs Protokoll und da werd ich kleinlich: Ich war nicht in Holland!
Oh, das wäre doch eine Idee für 2018…
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